Mein Weg ins Systemische (3): Von Abschieden und Anfängen

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Heute erzählt uns Anna Hansen, wie ihre Weiterbildung zur systemischen Therapeutin einige Abschiede in ihr Leben brachte und wieviele Neuanfänge dem gegenüberstehen. Auch schildert sie ihre neu gewonnene Auffassung über Abschiede und Neuanfänge im Leben. Anna unterstützt LEBENSNAH in der Aufsuchenden Familientherapie.

 

Jedem Abschied wohnt ein Anfang inne – oder wie war das? So einen Satz hat man in seinem Leben vermutlich mindestens einmal schon gehört. Vielleicht weil jemand einem Trost spenden oder Mut machen, ein Stück Trauer oder Schmerz abnehmen oder erträglicher machen wollte? Und tatsächlich empfinde ich jedes Mal Erleichterung und ein bisschen mehr Hoffnung, wenn ich diesen Satz höre, so abgedroschen er auch sein mag.

 

 

Abschied nehmen beginnt früh

Abschiede gibt es viele im Leben, auch schon in frühen Jahren. Vielleicht ist die erste beste Freundin weggezogen, der Übergang vom Kindergarten in die Schule ist ein Abschied oder vielleicht haben sich sogar die Eltern getrennt. Und so geht es weiter. Phasen, Beziehungen oder gar Leben gehen zu Ende… und immer, wenn auch manchmal etwas verzögert, beginnt etwas Neues. Nicht immer möchte man das. Das Alte, Bekannte ist so vertraut, wohlig und sicher. Gedanken an die neue Stadt, den neuen Job, die irgendwann mal neu gefundene Beziehung nach einer schmerzhaften Trennung laden nicht gerade zur Vorfreude ein. Und dann ist man vielleicht genervt, wütend, verzweifelt. Das gehört dazu. Es ist wichtig, denn Abschiede wollen gelebt und begangen werden - mit entsprechenden Gefühlen. 

 

 

Das Leben ist schön. Niemand hat gesagt, es sei einfach.

 „Das Leben ist schön. Dass es einfach wird, hat niemand gesagt.“ Diesen Satz habe ich letztens in einem Film aufgeschnappt und er gefällt mir sehr. Er passt. Und er entlastet mich. Und da wäre ich auch schon beim Kern meiner Gedanken, und der Motivation für diesen Beitrag angekommen. Entlastung. Das bedeutet für mich, zu merken, zu verstehen, und dann anzunehmen, dass das Leben, mein Leben, schön, aber nicht einfach ist.  Und dass das gut ist. Nicht einfach bedeutet für mich aber nicht schwer, belastend, unerträglich. Es bedeutet sowohl als auch, grau schattiert und nicht schwarz-weiß.

  

 

Die Weiterbildung zur systemischen Therapeutin: Ein prägender Abschied für mich

Einer meiner bewegendsten und zugleich schwierigsten Abschiede der letzten Jahre war der, den ich in meiner Ausbildung zur systemischen Therapeutin erlebt habe. Dort lernte ich, was es bedeutet, loszulassen von der Haltung, dass meine Sicht der Dinge DIE eine Sicht der Dinge ist. Das schöne Wort „Ambiguitätstoleranz“ machte sich mit mir bekannt und Sätze wie: „ich bin anders, und du auch“. Im Psychologiestudium hatte ich natürlich über den Konstruktivismus gelesen. Aber so richtig tief sank die Erkenntnis, dass es nicht die eine Realität geben kann, bei mir erst im systemischen Kontext ein. Wahrscheinlich weil ich parallel mit Menschen arbeitete und merkte, dass das Aufdrängen meiner scheinbar fachlich korrekten Sichtweisen auf erheblichen Widerstand stieß. 

Aber wann war das für mich ein schwieriger Abschied? Die Antwort ist, dass die Erkenntnis, dass verschiedene Sichtweisen sein dürfen, zwar bei mir tief einsank und vermutlich mein Leben für immer prägen wird. Jedoch musste ich bald erkennen, dass dies nicht unbedingt bei meinem Umfeld (persönlich wie beruflich) der Fall war. Und so entflammten Konflikte und teilweise sogar Trennungen. Meine Beziehungen sortierten sich neu. Denn so sehr ich begann, mein Gegenüber in seinem/ihrem „Sosein“ zu lassen, so sehr brauchte auch ich das von meinem Gegenüber im Hinblick auf mein „Sosein“. Und da entstanden Brüche. Brüche, die mich richtig erschütterten und im wahrsten Sinne ENTtäuschten. Ich hatte mich in Menschen GEtäuscht. Und das tat weh. 

 

 

Von Entlastung, neuen Erkenntnissen und noch mehr Abschied

Und wo ist nun die Entlastung? Sie lag in eben dieser Neusortierung meiner Beziehungen. Das passierte auf natürliche, sehr organische Weise, irgendwie unvermeidbar. Es war fast wie eine weitere Pubertät, diesmal in den Dreißigern. Es ging um Abgrenzung, ein bisschen Rebellion gegen Haltungen, die mir nicht gut taten. Mit dem Unterschied, dass mit 30 mehr Selbstsicherheit und Lebenserfahrung vorhanden war als mit 15. Ich musste mich nicht mehr überwiegend um die Bedürfnisse anderer kümmern und für Harmonie sorgen (etwas, das ich vermutlich aufgrund der Trennung meiner Eltern in früher Kindheit perfektioniert hatte), sondern verspürte plötzlich das große Bedürfnis nach mir selbst und der Suche nach dem, was sich für MICH richtig anfühlt. Trotz des Schmerzes, der Trennungen, der Abschiede empfand ich Erleichterung, und war damit ENTlastet.

Zudem öffneten diese Erkenntnisse und Haltungsänderungen neue Türen! Plötzlich sah ich uralte Freundschaften in neuem Licht, da diese mir schon immer mein Sosein ermöglicht hatten, ich es aber nicht zu schätzen gewusst hatte. Und neue Menschen kamen hinzu. Besonders wunderbar war zu merken, dass mein Mann, mit dem ich seit dem ersten Semester Psychologie zusammen bin, ähnliche Prozesse durchlief und wir uns gemeinsam auf dem Weg der (systemischen) Selbsterfahrung immer wieder intensiv begegneten. Dennoch wohnte auch hier ein Abschied; ein Abschied von einer Jugendbeziehung der Studententage, hin zu einer reifen, erwachsenen Paarbeziehung auf Augenhöhe. Ein Stück Leichtigkeit ging und wich einer unglaublich intensiven, innigen und vertrauensvollen Lebensverbindung. Ein neuer Anfang. Mit diesem Fels in meiner Brandung hatte ich das Vertrauen, dem schwierigen, aber schönen Leben mit Kraft begegnen zu können. 

 

 

Ein weltbewegender Neuanfang steht bevor...

Und nun steht uns der bisher wahrscheinlich intensivste Abschied bevor, der wie kein anderer einen weltbewegenden Anfang bereithält: Wir werden Eltern, ich werde Mutter. Im Juni soll unser Sohn kommen. Und obwohl schon jetzt so viel ganz anders ist, erlebe ich diese Tage und Wochen sehr bewusst als Frau, als Ehefrau, als Freundin. Die so lange schlafen kann, wie sie will, die sich spontan mit lieben Menschen treffen und berufliche Termine nach 17 Uhr annehmen kann. Ich weiß, dass mir das fehlen wird. 32 Jahre lang kannte ich es nicht anders. Ein Abschied. Den mein Mann und ich in diesem Tagen ganz bewusst als Paar begehen. Im Urlaub, im Kino, beim Italiener. Und dann kommt das Neue, der Anfang einer neuen Ära, und kein Ratgeber kann uns darauf vorbereiten, was auch etwas Entlastendes hat. Die Erfahrungen der letzten Jahre lassen mich aber gelassen in die Zukunft blicken. Vermutlich weil ich gelernt habe, das „sowohl als auch“ in mein Leben zu lassen. Mein Sohn wird sein eigenes Sosein haben und meine Welt auf den Kopf stellen. Soll er, darf er. Es kommt, wie es kommt. Ich bin so bereit wie man (und frau) in dieser Situation sein kann. Und für die schwierigen neben den schönen Zeiten gibt es ja auch noch die Menschen, die mir gut tun, mich unterstützen und mich LASSEN.

Jedem Abschied wohnt ein Anfang inne: Noch nie hat das für mich so sehr gestimmt. Das Leben ist schön. Dass es einfach wird, hat niemand behauptet.

 

Herzlichst

Ihre Anna Hansen 

 

 



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Kommentare: 1
  • #1

    we-love-webdesign (Donnerstag, 22 März 2018 07:50)

    Ich habe mit großem Interesse deine persönlichen Erfahrungen in Bezug auf Abschied und Neubeginn gelesen.
    Durch deinen Text musste ich selbst darüber nachdenken, wie ich denn mit Abschieden und Neuanfängen umgehe und denke, dass ich vielleicht in der einen oder einen Situation noch lernen muss los zu lassen.

    Liebe Grüße
    onma.de/webdesign-hannover

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